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Rede von Außenministerin Baerbock zum Thema „Implementation of Feminist Foreign Policy - Turning Commitments into Actions“ am Rande der UN-Generalversammlung

20.09.2023 - Rede

Ich freue mich so sehr, hier zu sein. Ich denke, man spürt den Unterschied, wenn 50, vielleicht 70 % Frauen anwesend sind. Es ist eine andere Stimmung im Raum. Dennoch möchte ich frei und offen sprechen, denn die Themen gehen uns alle an. Deshalb sind wir hier. Ich habe meine Rede übrigens leicht abgeändert, weil ich diese Tasche auf meinem Tisch gefunden habe. Darauf steht: „Ich habe eine feministische Außenpolitik“. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich sie habe. Denn vor einer Weile hätte ich Ihnen eine andere Tasche zeigen müssen, auf der gestanden hätte: „Ich setze mich wirklich sehr dafür ein, dass in allen anderen Ländern eine feministische Außenpolitik eingeführt wird, aber meine Regierung denkt immer noch, das ist nur eine ganz nette Idee, und das macht mich traurig.“

Und ja, ich bin stolz, dass Deutschland jetzt eine feministische Außenpolitik hat, aber ganz ehrlich, das war überhaupt nicht einfach.

Die Menschen denken vielleicht, dass Deutschlands sehr progressiv ist. Ich liebe mein Land. Aber als ich FFP zum ersten Mal im Bundestag erwähnt habe, fiel die Reaktion genau so aus: „Ach wie nett“. Es gibt Personen aus der Zivilgesellschaft, die heute mit mir hier sind und sich sehr gut daran erinnern. Ich sagte also: „Wir müssen eine feministische Außenpolitik formulieren, besonders jetzt, wir brauchen eine echte Strategie und wir müssen von anderen Ländern lernen.“ Aber die erste Reaktion war: „Oh Gott, jetzt kommt die mit ihren Menschenrechten an und will andere belehren.“ Also sagte ich: „Naja, eigentlich will ich von anderen lernen, weil andere – zum Beispiel Chile oder andere Länder – schon eine feministische Außenpolitik haben.“

Und dann kam die Debatte im Bundestag. Einer unserer Spitzenpolitiker, ein Mann, sagte zu mir: „Wissen Sie, Sie können Ihre“ – er hat nicht „nett“ gesagt, aber [mit seinen Händen ein Herz geformt] – „feministische Außenpolitik in der Entwicklungsarbeit machen, aber bitte nicht in harten Sicherheitsfragen.“

Ich war damals gerade aus Bosnien und Herzegowina zurückgekommen, wo ich Überlebende des Massakers von Srebrenica getroffen hatte, Frauen, die ihre ganze Familie verloren hatten. Ich hatte außerdem junge Frauen getroffen, die das Ergebnis einer Vergewaltigung sind. Sie haben nicht einmal einen Nachnamen, weil solche Kinder in manchen Ländern heute noch keinen erhalten. Weil ein Nachname ein Hinweis auf die Verbrechen wäre, das an ihren Müttern begangen wurden.

Ich habe also sehr deutlich gemacht, dass man solche Geschichten nicht mit herzerweichenden, „ganz netten“ Dingen assoziiert. Nein, hier geht es um harte Politik. Darum geht es überhaupt in der Politik. Deshalb freue ich mich so, dass wir mitmachen können. Und jetzt habe ich diese Tasche dabei. Wir konnten der FFP+-Gruppe beitreten. Und ich bin dankbar dafür, denn es hat mir geholfen. Auch in einem Land wie meinem, wo Menschenrechte im Grundgesetz verankert sind und die Menschen sagen: „Und wo genau ist jetzt das Problem? Welche Rechte fehlen denn in unserem Grundgesetz?“ Und wo man manchmal selbst denkt: „Ja, wo haben wir eigentlich Lücken?“ Es hat mir dabei geholfen zu verstehen, dass es darum geht, voneinander zu lernen, darum, bei sich selbst zu schauen und hoffentlich anderen zu helfen.

Und auch das ist wichtig: Wir haben Dinge von anderen übernommen, haben von ihnen, von ihrer feministischen Außenpolitik gelernt. Wir haben uns auf Rechte, Repräsentation, Ressourcen fokussiert. Und das hat uns dabei geholfen, die Debatte zu strukturieren. Woran also müssen wir arbeiten, um wirklich besser zu werden?

Die zweite Frage war: „Okay, nennen wir es also feministische Außenpolitik oder nicht?“ Der Name hat eine riesige Debatte ausgelöst. Deswegen gab es auch diese ganzen starken Reaktionen von meinen männlichen Kollegen im Bundestag. Hätte ich meine Politik als „Umsetzung des fünften Ziels für nachhaltige Entwicklung“ bezeichnet, nun, sie hätten anders reagiert. Aber dann hätte es eigentlich überhaupt gar keine Reaktion gegeben, weil niemand verstanden hätte, was ich meine.

Ich glaube, dass man manchmal wie in Deutschland – in jedem Land wird das nicht funktionieren – solche „Reizwörter“ braucht, um eine Debatte darüber anzustoßen, wo wir besser werden müssen. Was andere Länder angeht, und diese Botschaft möchte ich ihnen hier hinterlassen, ist es vielleicht besser, solche Begriffe zu vermeiden. Auch das habe ich im letzten Jahr von den Kolleginnen und Kollegen hier gelernt. Die Mongolei kann heute nicht hier sein, aber unsere Kollegin Betty, die mongolische Außenministerin, sagte letztes Jahr, dass sie eine feministische Außenpolitik plane, aber nicht sicher sei, ob sie sie auch so nennen solle. Wir waren der Meinung: „Das ist egal, du kannst in jedem Fall unserer Gruppe angehören.“ Die Mongolei sollte immerhin als erstes asiatisches Land eine solche Politik einführen. Betty hat erst vor ein paar Monaten eine Konferenz zur feministischen Außenpolitik in der Mongolei ausgerichtet. Das macht wirklich einen Unterschied und zeigt, dass dieses Thema alle angeht. Für uns in Deutschland war es wichtig, von feministischer Außenpolitik zu sprechen. Es war wichtig, um die Debatte wirklich zu strukturieren, um zu fragen: Wo müssen wir besser werden?

Auch wenn es bei meinen Reisen in die Golfregion beispielsweise für mich in Ordnung ist, wenn man mir sagt: „Für uns ist es sehr wichtig zu verstehen, dass unser BIP weniger stark wächst, wenn die Hälfte der Gesellschaft nicht arbeiten kann. Dann haben wir ein Problem mit unserem BIP.“ In Deutschland dürfen Frauen natürlich arbeiten, aber wir dürfen nicht vergessen, dass das in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren nicht die Norm war. Damals mussten Frauen ihren Ehemann um Erlaubnis bitten.

Für uns ist es wichtig, mit den drei R zu arbeiten.

Repräsentation. Zu den wichtigsten Sätzen, die ich im letzten Jahr von einer Kollegin gehört habe, gehört dieser: „Sehen heißt werden.“ In Deutschland war es genauso. Die erste weibliche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, wurde noch gefragt: „Kann eine Frau zu den Spitzen der Welt gehören?“ Auch ich war Kanzlerkandidatin – natürlich habe ich nicht gewonnen –, aber mir wurde diese Frage nicht mehr gestellt. Stattdessen hieß es: „Kann eine 40-jährige Mutter von zwei Kindergartenkindern Kanzlerkandidatin sein?“ Es macht also einen Unterschied, ob andere Frauen es bereits vorgemacht haben. Wir arbeiten in Deutschland intensiv am Thema Repräsentation und es ist an dieser Stelle wirklich nützlich zu sehen, dass wir in den VN dasselbe Maß an Repräsentation haben. Was die Quoten angeht, so haben wir es, denke ich, gestern auch in der Vollversammlung gesehen. Das Thema Frauen wurde in den Reden der Staatsspitzen mehrfach thematisiert und sowohl vom Generalsekretär als auch von seinen männlichen Nachrednern angesprochen. Alle haben sich vehement für Frauenrechte ausgesprochen. Das war gut und wichtig. Meiner Meinung nach nicht so gut war allerdings, dass die erste weibliche Staatschefin erst nach sechs Stunden gesprochen hat.

Wir sehen also auch hier in den Vereinten Nationen, was wir zu tun haben.

Das zweite R steht für Ressourcen. Damit tun wir uns wirklich schwer und es ist auch ein Punkt, den ich hier bei den Vereinten Nationen ansprechen möchte: die Frage der Ressourcen.

Hierzu führen wir bei uns Gender Budgeting ein. Dafür brauchen wir aber sämtliche Daten, um sehen zu können, wohin unser Geld fließt. Unser Ziel er ist es, 85 Prozent unserer Projektmittel gendersensibel auszugeben. Und wieder wurde ich in Deutschland gefragt: „Wir machen also keine Projekte mehr, die Männern zugutekommen?“ Nein, wir möchten lediglich wissen, wohin unser Geld fließt. Schließlich gibt es vielleicht Projekte, die wir als humanitäre Projekte einstufen. Aber bei genauerem Hinsehen wird uns klar und wir sehen es auch in manchen Ländern, dass das Geld ausschließlich an Männer geht, wenn Frauen keine humanitäre Hilfe leisten dürfen. Wir möchten also wissen, inwieweit das Geld tatsächlich gendersensibel ausgegeben wird. Ich glaube, hier müssen wir intensiv mit den VN zusammenarbeiten. Außerdem möchten wir 8 Prozent unserer Projektmittel gendertransformativ ausgeben.

Noch kurz zum Thema Rechte. Es wird vielfach gefragt: „Was haben wir dabei denn in europäischen Ländern zu tun?“ Meiner Meinung nach – Catherine hat es ja bereits erwähnt – sind reproduktive Rechte eine heikle Frage. Für uns ist das aber ein wirklich wichtiges Thema, denn es geht um unseren Körper, und der einzige Mensch, der darüber entscheiden darf, sind wir Frauen – und kein Mann.

Mein letzter Punkt – wir haben uns bei einer fantastischen Konferenz mit vielen Außenministerinnen über Afghanistan unterhalten. Die Frage war, was wir tun können. Und wir haben uns zusammengetan, besonders als Außenministerinnen.

Es gibt ein Zitat der afghanischen Aktivistin Horia Mosadiq, sie sagte: „Am 14. August waren wir noch Ärztinnen, Ministerinnen, Abgeordnete, Lehrerinnen, Journalistinnen. Am 15. August waren wir niemand mehr. Denn die Taliban haben uns unser Gesicht, unsere Identität genommen.“

Wir haben die grauenhaftesten Menschenrechtsverletzungen gesehen, aber wir hatten nicht einmal einen Namen dafür. Aktuell hören wir Diskussionen über „Gender-Apartheid“, „Femizid“ oder „Gender-Trennung“. Aber warum? Weil Gender in der Völkermord-Konvention im Gegensatz zu Rasse oder Religion kein Rechtsbegriff ist. Vielleicht hat niemand erwartet, dass das notwendig werden könnte. Meines Erachtens liegt es auch daran, dass diese Konventionen samt und sonders von Männern erarbeitet wurden. Aber ich denke, es ist wirklich wichtig, dass wir uns nicht nur über das Reizwort „feministische Außenpolitik“ Gedanken machen, sondern wir müssen auch einen Namen für diese Gräueltaten finden, um sie vor Gericht zu bringen.

Mit manchen hier in diesem Raum haben wir diskutiert, welche Handlungsoptionen über den IStGH oder den IGH bestehen, denn eine andere große Außenministerin sagte einmal: „Frauenrechte sind Menschenrechte“. Wir müssen also handeln, falls solche Gräueltaten irgendwo auf der Welt wieder begangen werden.

Ich bin wirklich dankbar, dass wir heute hier sind, um Frauen nicht nur ihre Identität, ihr Gesicht in Afghanistan zurückzugeben, sondern eines Tages auch ihren Job als Lehrerin, als Abgeordnete oder als Journalistin.

Vielen Dank.

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