Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Humanitäre Hilfe für den Sahel ist Krisenvorsorge

16.10.2020 - Interview

Corona hat die Welt in eine tiefe Krise gestürzt, unter der vor allem die Ärmsten leiden. Sie brauchen jetzt dringend Hilfe, meinen UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock und Staatsminister Niels Annen in einem Gastkommentar für die Deutsche Welle.

Zum Jahresbeginn rechneten die Vereinten Nationen für 2020 mit einem Bedarf an humanitärer Hilfe für 168 Millionen Menschen. Tatsächlich sind heute schon 250 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das ist der höchste je verzeichnete Anstieg im Verlauf eines Jahres, der vor allem auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist.

Eine der Folgen der Pandemie und der damit einhergehenden Lockdown-Maßnahmen ist eine schwerwiegende globale Rezession. Von deren Auswirkungen sind die schwächsten Länder der Welt am meisten betroffen, was bereits bestehende humanitäre Krisen weltweit zusätzlich verschärft hat. Zudem sind neue Krisen entstanden.

Die Zahl der extrem Armen steigt wieder

Zum ersten Mal seit den 1990er-Jahren wird die Zahl der von extremer Armut betroffenen Menschen wieder zunehmen und die Lebenserwartung sinken. Es zeichnet sich eine Verdopplung der Zahl der Todesopfer aufgrund von HIV, Tuberkulose und Malaria ab. Auch die Zahl der Menschen, die an Unterernährung sterben, könnte sich aktuellen Einschätzungen zufolge nahezu zu verdoppeln.

Aktuell können 500 Millionen Kinder aufgrund von Schulschließungen keinen Unterricht besuchen. Viele Mädchen werden wohl nie wieder die Schule besuchen können. Die Fortschritte ganzer Jahrzehnte könnten zunichte gemacht werden.

Die Pandemie wird lange nachwirken

All dies wird bestehende Konflikte und Instabilitäten verstärken und zu größeren Flüchtlingsbewegungen führen. Schon heute ist absehbar, dass die Auswirkungen der aktuellen Pandemie weitreichend und langwierig sein werden. Und noch die Corona-Krise ist nicht vorbei.

Allein um die humanitären Auswirkungen der Corona-Krise abzumildern, benötigen die Vereinten Nationen bis zum Ende des Jahres zehn Milliarden US-Dollar. Bisher stehen jedoch nur 28 Prozent der benötigten Mittel zur Verfügung. Die UN-Hilfsorganisationen sind auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Ohne die Anstrengung der internationalen Gemeinschaft und eine größere Bereitschaft, Gelder zur Verfügung zu stellen, werden sie gezwungen sein, ihre Leistungen zurückzufahren. Dies wiederum würde die fatale Lage vieler notleidender Menschen weiter verschlimmern, der Bedarf an Hilfen würde weiter steigen.

Hilfe ist Investition in die Zukunft

Es ist an der Weltgemeinschaft, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Humanitäre Hilfe unterstützt nicht nur die Betroffenen heute, sondern beugt steigenden Bedarfen vor und verringert Fluchtursachen. Deshalb sollten sich alle Länder dem Gebot der internationalen Solidarität verpflichtet fühlen und erkennen, dass humanitäre Hilfe neben der menschlich gebotenen Unterstützung der Schwächsten auch eine Investition in und unser aller Zukunft ist.

Mit den bisher bereitgestellten rund 2,9 Milliarden US-Dollar konnten Hilfsorganisationen Millionen Betroffene erreichen, darunter auch Geflüchtete und Binnenvertriebene. Die Unterstützung ist vielfältig: So haben humanitäre Helferinnen und Helfer Stationen zum Händewaschen errichtet und helfen durch Bargeldtransfers, sie versorgen Betroffene geschlechtsspezifischer Gewalt oder unterstützen notleidende Kinder und ihre Mütter. Bereits 78 Millionen OP-Masken wurden durch Hilfsorganisationen an bedürftige Länder geliefert und weltweit über eine Milliarde Menschen über Maßnahmen zur Prävention von COVID-19 aufgeklärt.

Deutschland an der Seite der Vereinten Nationen

Deutschland steht - auch in seiner Rolle als gegenwärtige EU-Ratspräsidentschaft - fest an der Seite der Vereinten Nationen und ihrer Verpflichtung, denjenigen humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, die sie am dringendsten benötigen. Weltweite Solidarität, gestützt durch finanzielle Mittel, die dem Ausmaß der globalen Krise entsprechen, ist angesichts der derzeitigen Krisen heute wichtiger denn je.

Für die weltweite Bekämpfung der humanitären Folgen von COVID-19 hat Deutschland zusätzliche 450 Millionen Euro bereitgestellt. Diese Mittel schaffen Flexibilität für humanitäre Hilfsorganisationen, damit sie schnell den dringendsten Bedarf decken und sich flexibel an ein sich rasch veränderndes Umfeld anpassen können. Insgesamt beläuft sich Deutschlands Beitrag zur weltweiten humanitären Hilfe 2020 auf den Rekordwert von 2,1 Milliarden Euro. Deutschland ist damit zweitgrößter bilateraler Geber humanitärer Hilfe.

Hilfe für die am härtesten Betroffenen

Der wichtige Beitrag einzelner Länder wie Deutschland kann jedoch nur einen Teil der Anstrengungen im Kampf gegen humanitäre Notlagen darstellen und muss durch weitere Instrumente begleitet werden. Auch die internationalen Finanzinstitutionen - wie zum Beispiel die Weltbank oder Internationale Währungsfonds - müssen mehr tun: Eine verstärkte Kreditvergabe zu günstigen Bedingungen und die Schaffung zusätzlicher Reserven kann strauchelnden Volkswirtschaften dabei helfen, die Auswirkungen der Pandemie abzufedern. Die ganze Welt befindet sich im Krisenmodus. Doch jetzt müssen wir uns auf die Länder konzentrieren, die am härtesten betroffen sind.

Am 20. Oktober werden Deutschland, Dänemark, die EU und das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) daher eine Geberkonferenz für die zentrale Sahelregion ausrichten. In Mali, Burkina Faso und Niger verschärft die Pandemie die ohnehin schon bestehende Not.

Wir rufen Regierungen, die internationalen Finanzinstitutionen, den Privatsektor und die Zivilgesellschaft dringend auf, diese Anstrengungen zu unterstützen. Wir müssen den am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen helfen, das Virus zu bekämpfen und die wirtschaftliche Not, die es verursacht hat, zu lindern.

Diese Herausforderung müssen wir jetzt angehen - gemeinsam, im Interesse aller.

www.dw.com


Schlagworte

nach oben